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Papier

Papier ist ein so alltägliches Produkt, dass uns sein Gebrauch kaum mehr auffällt. Dabei begleitet es als Träger vielfacher Informationen unser ganzes Leben, bestimmt unsere Kultur als Schriftkultur.Ob Kochbuch, Schulbuch oder Zeitung – Papier trägt und ermöglicht Information; ob Roman, Krimi oder Comic – Papier ermöglicht Unterhaltung; ob Bibel, Ritterepos oder Kommunistisches Manifest – Papier ermöglicht Beziehungen zwischen Zeiten und Welten. Papier ist auch Grundlage für den Austausch von Gütern und Dienstleistungen in Form von Geschäftsbriefen, Verträgen, Katalogen, Rechnungen usf. Die Verbindung von Geschriebenem und Beschreibstoff ist dabei so eng, dass Inhalt und ‚Überbringer’ oft gleichgesetzt werden. Begriffe wie ‚Geschäftspapiere’, ‚persönliche Papiere’ oder ‚amtliche Papiere’ sind längst in unseren Sprachschatz eingegangen. Dokumente oder Verträge werden als ‚wichtige Papiere’ bezeichnet, man ‚entwirft ein Papier’ als Vorlage für eine Besprechung; man reicht ‚seine Papiere’ ein oder bittet um diese; der Archivar stöbert in ‚alten Papieren’, und die Ämter kämpfen gegen eine ‚Papierflut’, wenn sie der Gesetze, Erlasse und Verordnungen kaum mehr Herr werden.

Papier verpackt und verhüllt die Pausenbrote der Kinder wie das Geschenk zum Geburtstag und die Blumen für die Oma; es enthüllt verborgene Geschichten, wenn es erst einmal durch die Rotationspressen der Sensationsblätter gelaufen ist. Als Zigarettenpapier benebelt es wie manches Sektenpamphlet, ernüchtert aber, wenn es als Bußgeldbescheid oder Gerichtsvorladung im Briefkasten liegt. Als Zeugnis erhöht oder erniedrigt es den Empfänger; als Brief von Freunden oder Notiz über die lang ersehnte Gehaltserhöhung bringt uns das Papier Freude, als Beschwerdebrief oder Ankündigung einer Mieterhöhung hingegen Ärger. Seitenweise ließe sich beschreiben, in wie vielfältiger Form wir mit dem Papier umgehen und welche zahlreichen Botschaften des Lebens es uns vermittelt.

Wenige Haushalte in unserem Lande sind in ihrem Ge- und Verbrauch ‚arm an Papier’. Nur wenige Tätigkeits- und Lebensbereiche erschließen sich uns ohne den Gebrauch des Informationsträgers ‚Papier’. Das ganze Selbstverständnis unserer Gesellschaft, unserer Gegenwart ist vom Papier als Träger der Tradition und Überlieferung abhängig. Während in früheren Zeiten Kultur mündlich überliefert wurde, ist das Paper seit Jahrhunderten ein Medium unserer Geschichte, Ideen und Überzeugungen. Und dennoch soll es schon bald mit dieser ‚Papiergesellschaft’, d.h. mit unserer Schriftkultur, vorbei sein. Neue Medien, neue Informationsträger scheinen, so wird prophezeit oder befürchtet, dem Papier einen raschen Garaus zu bereiten: Das Fernsehen ersetzt zunehmend die Lektüre von Roman und Zeitung, Waren werden nicht mehr nach dem Katalog, sondern nach dem Bildschirmtext ausgesucht und per Telefoneingabe geordert. Von Familienfesten und Urlaubsreisen werden nicht mehr Farbfotos, sondern Videofilme vorgeführt. Daten werden nicht mehr in Archiven und Bibliotheken, sondern in EDV-Banken gespeichert. Das Briefeschreiben ersetzt zunehmend der Telefonanruf. Die Frage, ob wir in naher Zukunft eine Gesellschaft ohne Papier sein werden, steht schon an, ist aber endgültig noch nicht beantwortbar.

Aus der Einleitung des Buches Papier. Produkt aus Lumpen, Holz und Wasser von Günter Bayerl und Karl Pichol, 1986.

Nationalökonomie

Nationalökonomie ist, wenn die Leute sich wundern, warum sie kein Geld haben. Das hat mehrere Gründe, die feinsten sind die wissenschaftlichen Gründe, doch können solche durch eine Notverordnung aufgehoben werden.

Die Grundlage aller Nationalökonomie ist das sog. „Geld”. Geld ist weder ein Zahlungsmittel noch ein Tauschmittel, auch ist es keine Fiktion, vor allem aber ist es kein Geld. Für Geld kann man Waren kaufen, weil es Geld ist, und es ist Geld, weil man dafür Waren kaufen kann. Doch ist diese Theorie inzwischen fallen gelassen worden. Woher das Geld kommt, ist unbekannt. Es ist eben da bzw. nicht da – meist nicht da.

Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten. Wenn die Ware den Unternehmer durch Verkauf verlassen hat, so ist sie nichts mehr wert. Dafür hat der Unternehmer das Geld, welches Mehrwert genannt wird, obgleich es immer weniger wert ist. Wenn ein Unternehmer sich langweilt, ruft er die anderen an und sie bilden einen Trust, das heißt, sie verpflichten sich, keinesfalls mehr zu produzieren, als sie können sowie ihre Waren nicht unter Selbstkostenverdienst abzugeben. Daß der Arbeiter für seine Arbeit auch einen Lohn haben muß, ist eine Theorie, die heute allgemein fallen gelassen worden ist.

Eine wichtige Rolle im Handel spielt der Export, Export ist, wenn die andern kaufen sollen, was wir nicht kaufen können; auch ist es unpatriotisch, fremde Waren zu kaufen, daher muß das Ausland einheimische, also deutsche Waren konsumieren, weil wir sonst nicht konkurrenzfähig sind. Wenn der Export andersrum geht, heißt er Import, welches im Plural eine Zigarre ist.

Jede Wirtschaft beruht auf dem Kreditsystem, das heißt auf der irrtümlichen Annahme, der andre werde gepumptes Geld zurückzahlen. Tut er das nicht, so erfolgt eine sog. Stützungsaktion”, bei der alle, bis auf den Staat, gut verdienen. Solche Pleite erkennt man daran, dass die Bevölkerung aufgefordert wird, Vertrauen zu haben. Weiter hat sie ja dann auch meist nichts mehr. Wenn die Unternehmer alles Geld im Ausland untergebracht haben, nennt man dies den Ernst der Lage”.

Die Aktiengesellschaften sind für das Wirtschaftsleben unerläßlich: stellen sie doch die Vorzugsaktien und die Aufsichtsratsstellen her. Jede AG hat einen Aufsichtsrat, der rät, was er eigentlich beaufsichtigen soll. Die AG haftet dem Aufsichtsrat für pünktliche Zahlung der Tantiemen. Diejenigen Ausreden, in denen gesagt ist, warum die AG keine Steuern zahlen kann, werden in einer sog. Bilanz” zusammengestellt.

Die Wirtschaft wäre keine Wirtschaft, wenn wir die Börse nicht hätten. Die Börse dient dazu, einer Reihe aufgeregter Herren den Spielklub und das Restaurant zu ersetzen. Schreien die Leute auf der Börse außergewöhnlich viel, so nennt man das: die Börse ist fest. In diesem Fall kommt – am nächsten Tag – das Publikum gelaufen und engagiert sich, nachdem bereits das Beste wegverdient ist.

Zusammenfassend kann gesagt werden: die Nationalökonomie ist die Metaphysik des Pokerspielers.

Ich hoffe, dass diese Angaben so gegeben sind wie alle Waren, Verträge, Zahlungen, Wechselunterschriften und andern Handelsverpflichtungen – also ohne jedes Obligo.

Von Kurt Tucholsky. Erschienen unter dem Pseudonym Kaspar Hauser in: Die Weltbühne, 1931 (gekürzt)

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